Oct 26, 2023
Elektroautos: Chinesische Autohersteller überholen deutsche Giganten
Hohe Kosten, geringere Nachfrage, härterer Wettbewerb – die deutsche Automobilindustrie gerät unter Druck. Insbesondere der lukrative chinesische Markt erweist sich für chinesische Verbraucher als schwierig
Hohe Kosten, geringere Nachfrage, härterer Wettbewerb – die deutsche Automobilindustrie gerät unter Druck. Insbesondere der lukrative chinesische Markt erweist sich als schwierig, da chinesische Verbraucher sich für nationale Marken entscheiden.
In der deutschen Wirtschaft macht sich ein Krisengefühl breit, da die Auftragsbestände dünner erscheinen und die Kaufkraft der Verbraucher angesichts der steigenden Inflation schwindet.
Auch die Automobilhersteller des Landes sehen sich mit Gegenwind konfrontiert, der jedoch durch zunehmende Strukturprobleme in der einst so mächtigen Industrie noch verstärkt wird. Der Übergang zur Elektromobilität und zum autonomen Fahren verursacht höhere Kosten, während die notwendigen Mittel, die noch immer überwiegend aus dem Verkauf von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor stammen, zunehmend ungewiss und politisch unerwünscht sind.
Die Unternehmenszahlen für das erste Halbjahr 2023 waren für Unternehmen wie Volkswagen, Mercedes Benz und BMW zufriedenstellend. Alle meldeten höhere Umsätze und höhere Gewinne. Doch ihre Aussichten für den Rest des Jahres haben die Erwartungen von Investoren und Aktionären enttäuscht. Inflation und steigende Zinsen wirken dämpfend und die Nachfrage nach Neufahrzeugen sinkt.
„Selbst wenn wir einen Anstieg der Produktion sehen, ist das kein Zeichen einer Entspannung“, warnte Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA) und wies darauf hin, dass der Absatz im Jahr 2019 immer noch mehr als ein Fünftel unter dem Niveau vor der Pandemie lag.
Insbesondere bei batteriebetriebenen Fahrzeugen sind in Deutschland die Bestellungen rückläufig, die Nachfrage sinkt auf nur noch etwa 60 % des Vorjahresvolumens.
China, der weltweit größte und wichtigste Automobilmarkt, baut seinen Sektor für Elektroautos inzwischen rasant aus und baut seinen Vorsprung nicht nur bei den Neuzulassungen, sondern auch bei der Produktion aus. Derzeit wird jedes zweite Elektrofahrzeug weltweit in China gefahren.
Auch chinesische Hersteller machen rasante technologische Fortschritte und schließen schnell mit dem Branchenführer Tesla auf. Chinesische Autokäufer, sowohl aus der Mittelschicht als auch aus höheren Einkommensschichten, bevorzugen zunehmend inländische Marken. Laut den neuesten Zahlen der China Passenger Car Association hat Chinas größter Autobauer BYD im ersten Halbjahr dieses Jahres 29 % mehr reine Elektroautos verkauft als Tesla.
„In diesem Markt findet eine Störung statt“, sagte Ralf Brandstätter, Vorstandsmitglied von VW China, kürzlich gegenüber Reportern, als er zugeben musste, dass VW im ersten Quartal in China besser verkauft wurde als BYD. BYD lieferte in China fast zwanzigmal mehr Elektrofahrzeuge an Kunden aus als VW.
Um die Welle der wachsenden Automobilmacht Chinas aufzufangen, hat VW eine Partnerschaft mit dem Autohersteller Xpeng in den Bereichen Elektromobilität, Software und autonomes Fahren angekündigt. Die Zusammenarbeit mit dem chinesischen Startup kostet für VW 700 Millionen US-Dollar und zielt darauf ab, bis 2026 zwei elektrische VW-Modelle auf den chinesischen Markt zu bringen.
Auch die Spitzenmarken Porsche und Audi von VW spüren zunehmenden Marktdruck, ebenso wie die beiden anderen deutschen Luxusautohersteller Mercedes-Benz und BMW.
Das Automobilberatungsunternehmen Berylls behauptete in einer aktuellen Marktstudie, dass die Welt im Premiumsegment einen „Wachwechsel in China“ erlebe. Im Wettbewerb mit traditionellen Luxusherstellern aus Deutschland überholen die Chinesen „auf der Überholspur“, heißt es in der Studie.
Jahrzehntelang dominierten deutsche Automobilhersteller den chinesischen Markt mit einer Trickle-Down-Strategie: Sie führten von ihnen entwickelte Technologien als optionale Extras für Verbraucher ein und verkauften sie weiterhin zu einem höheren Preis, bis ihre Konkurrenten aufholten.
„Wie weit diese Produktstrategie von den Erwartungen heutiger chinesischer Autokäufer abweicht, davon bekommen deutsche Erstausrüster derzeit einen ersten Vorgeschmack – mit alarmierenden Auswirkungen für die Zukunft“, sagt Willy Wang, Geschäftsführer von Berylls China, schrieb.
„Da China an die Spitze der Verbraucherinnovation gerückt ist, haben chinesische Kunden weder die Geduld, bis sich Technologien durchsetzen, noch sind sie bereit, für die neuesten Funktionen extra zu zahlen“, schrieb Wang.
In der Vergangenheit galten deutsche Luxusfahrzeuge als ideale Statussymbole für die aufstrebende Mittel- und Oberschicht in China. Heimische Marken galten als technologisch rückständig und von wenig überzeugender Qualität.
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Doch mittlerweile erfreuen sich in China produzierte Fahrzeuge zunehmender Beliebtheit, insbesondere aufgrund digitaler Features wie fortschrittlicher Assistenz- und Infotainmentsysteme. Angesichts der Verkehrssituation auf den überfüllten Straßen Chinas ist dies nicht verwunderlich. In puncto Komfort und Qualität werden sie von den Kunden als nahezu gleichwertig oder sogar leicht besser wahrgenommen als etablierte Automobilhersteller, heißt es in der Studie.
„Die deutsche Autoindustrie wird im chinesischen Automobilsektor wahrscheinlich nicht mehr die gleiche dominierende Rolle spielen wie in den letzten 20 Jahren“, sagt Gregor Sebastian, China-Experte vom Merics Institute. Für chinesische Kunden verdränge die Technologie traditionelle Qualitäten als Kaufargument, sagte er der DW.
Kein Wunder also, dass mittlerweile 80 % aller batterieelektrischen Fahrzeuge in China von inländischen Herstellern stammen. Unter den Top-Ten-Verkäufern rangiert nur Tesla. Deutsche Marken spielen in der Liste keine Rolle mehr.
Auf dem gesamten chinesischen Automobilmarkt, einschließlich Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor, werden chinesische Marken in diesem Jahr mit einem Marktanteil von 51 % erstmals ausländische Marken übertreffen. Dieser Anteil soll bis 2030 auf 65 % steigen, sagen die Unternehmensberater AlixPartners in ihrem Global Automotive Outlook-Bericht für 2023.
Für Europa prognostiziert der Bericht, dass die Autoverkäufe etwa 15 % unter dem Niveau vor der Pandemie bleiben würden. Dies dürfte eine langfristige Perspektive sein. Auch europäische Hersteller würden in ihren Heimatmärkten zunehmend unter Druck durch chinesische Elektrofahrzeughersteller geraten.
Es überrascht nicht, dass China im ersten Quartal 2023 Japan als Weltmeister im Automobilexport abgelöst hat. Im Jahr 2020 lag es noch auf dem sechsten Platz. Das asiatische Land ist als Absatzmarkt, als Exporteur und als Produktionsstandort auf dem Vormarsch.
„China ist auf dem Weg, eine Automobil-Supermacht zu werden“, sagt Fabian Piontek, Automotive-Experte von AlixPartners, gegenüber der DW. Europäische Hersteller stehen zunehmend vor der Herausforderung, ihre Marktanteile im Inland zu verteidigen. „Die Ära der Rekordgewinne der deutschen Automobilhersteller geht zu Ende“, schloss er.
Dieser Artikel wurde ursprünglich auf Deutsch verfasst.
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